Zum Inhalt springen

Tierhaltung: Tierwohl – Gesundheit – Klima

Das Geschäft mit Billigfleisch als Lockmittel für die Kunden funktioniert – kaum ein Prospekt der Supermärkte ohne Angebote für Fleisch und Wurst zu Tiefstpreisen. Auch ein Blick ins Warensortiment zeigt schnell: Das Angebot von Fleisch und Wurst aus nachhaltiger und dem Tierwohl angepasster Tierhaltung ist gering. Rund 88 Prozent des Frischfleischs der Supermarkt-Eigenmarken stammt von Tieren, die unter qualvollen und mitunter zudem gesetzeswidrigen Bedingungen gehalten wurden. Die meisten Supermärkte zeigen wenig Ambitionen, in der Zukunft auf billig produziertes Fleisch in ihrem Sortiment zu verzichten. Dabei hat der Handel es in der Hand, einen wesentlichen Beitrag für eine bessere Tierhaltung zu leisten. Und das geht konkret so: Das Sortiment auf besseres Fleisch (Haltungsform 3 oder 4) umstellen, alle Fleisch- und Wurstwaren transparent kennzeichnen und vor allem faire Preise und langfristige Verträge für bäuerliche Betriebe gewährleisten.  

Neben dem Tierwohl verbindet der Verzicht auf Billigfleisch auch gesundheitliche und ökologische Vorteile 

Fleisch so billig, dass wir in Deutschland zu viel davon essen – rund 60 Kilogramm im Schnitt pro Jahr und Kopf. Bei hohem Fleischkonsum steigt aber das Risiko, Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erleiden. Die Emissionen aus der Produktion von Fleisch führen zudem wesentlich zur weiteren Erhitzung des Klimas. Der Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung trägt zur Bildung und Ausbreitung von multiresistenten Krankheitserregern bei und erhöht damit für alle Menschen das Risiko einer Infektion mit diesen Keimen. Auch beim Wasserverbrauch zahlt sich ein Verzicht aus. Das gilt insbesondere für Regionen mit hoher Stalldichte. Je mehr Tiere in einer Region gehalten werden, desto mehr Gülle entsteht, desto mehr Nitrat gelangt ins Grundwasser. Und desto aufwändiger muss das Wasser gereinigt werden. Um die Nachfrage nach billigem Fleisch zu bedienen, halten Landwirte so viele Schlachttiere, dass sie Futtermittel importieren müssen. Für das Soja, das in deutschen Futtertrögen landet, werden vor allem in Südamerika riesige Waldflächen und wertvolle Ökosysteme zerstört. Damit heizt der Fleischkonsum die Klimakrise nicht nur durch Emissionen aus der Massentierhaltung an, sondern vernichtet auch Wälder, die wir brauchen, um der Klimakrise entgegenzuwirken. 

Viele Landwirte machen sich Sorgen um ihre Existenz und die Zukunft ihrer Höfe. Sie müssen an allen Ecken sparen. Oft setzen sie dann auf Masse und industrielle Produktion, um mithalten zu können. Dann landet  etwa bei der Schweinehaltung billigeres, gentechnisch verändertes Futter aus Südamerika im Trog. Die Tiere werden unter unsäglichen Bedingungen turbogemästet. Ein 110 Kilogramm schweres Schwein bekommt nur 0,75 Quadratmeter Platz. Kein Auslauf, kaum Tageslicht, wenig Beschäftigung. Und das 24 Stunden am Tag. Das bedeutet unfassbares Tierleid. Es lohnt sich trotzdem kaum für die Betriebe. Ein Kilogramm Schweinefleisch bringt ihnen gerade einmal 1,60 Euro. Damit können sie knapp ihre Kosten decken. Um die Tiere artgerechter und umweltschonender halten zu können, bräuchten sie mindestens 50 Cent mehr, wie es beispielsweise die vorgeschlagene Tierwohlabgabe ermöglichen würde. Die aktuellen Niedrigpreise zwingen die Bauernfamilien, entweder zu expandieren oder ihren Hof aufzugeben.

Doch nicht nur die Billigpreise des Handels tragen hier Verantwortung. Auch die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit sich die Umstellung auf eine bessere Tierhaltung und eine umwelt- und klimafreundlichere Landwirtschaft für die bäuerlichen Betriebe lohnt. Wichtigster Hebel ist die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, um das veraltete Verteilungsprinzip der Agrarsubventionen zu ändern. Die Bundesregierung muss auch ohne neue EU-Vereinbarungen handeln. Konkret heißt das als erster Schritt: Die Einführung einer staatlich verpflichtenden Haltungskennzeichnung für Fleisch und Wurst, die Sorge für tierschutzkonforme Haltungsbedingungen und nicht zuletzt durch staatliche Vorgaben erzwungene Verteuerung von Fleischerzeugnissen. Denn die gute Nachricht ist: Die Mehrheit der Deutschen ist bereit, für Fleisch mehr Geld auszugeben, wenn es tatsächlich direkt in eine bessere Tierhaltung fließt. 

Mit einer Abgabe auf Fleisch ließe sich die gegenwärtige Fehlsteuerung korrigieren. Es könnte etwa damit anfangen, die Subvention für Fleisch und Milchprodukte im Mehrwertsteuersystem zu beenden. Dazu müsste der bislang geltende ermäßigte Steuersatz auf den Regelsteuersatz angehoben werden. Denkbar wäre auch eine emissionsabhängige Abgabe, die besonders klimaschädliche Haltungsformen höher besteuert. Dann müssten Verbraucher, die auf einen klimaschonenden Konsum achten und sich für pflanzliche Produkte entscheiden, beim Einkauf im Supermarkt weniger zahlen als regelmäßige Fleischesser. 

Schließlich ließen sich mit einer zweckgebundenen Tierwohlabgabe die finanziellen Mittel erzielen, die nötig wären, um eine quälerische Tierhaltung schnell zu beenden. Dazu müssen die landwirtschaftlichen Betriebe aus der Intensivtierhaltung aussteigen und in den Um- und Neubau von Ställen investieren. Das können aber vor allem kleine und mittlere Betriebe aus eigener Kraft kaum stemmen. Die Zweckbindung der Tierwohlabgabe garantiert, dass das Geld der Verbraucher auch wirklich gezielt dazu genutzt wird, Tierhalter zu fördern, die weniger Tiere unter besseren Bedingungen halten. Zusätzlich sollten mit einem Teil des Geldes mehr staatliche Kontrollen vor Ort finanziert werden, damit das Einhalten der Tierschutzregeln auch wirklich gesichert ist.

Nach einer Analyse von Greenpeace ist der schnelle Ausstieg aus der Tierhaltung mit einer Tierwohlabgabe von maximal 50 Cent pro Kilogramm Fleisch finanzierbar. Wenn die   Mehrwertsteuer angeglichen wird, um die klima- und umweltschädliche Subventionierung von Fleisch und Milchprodukten zu beenden, können Steuern auf pflanzliche Lebensmittel sinken und so Verbraucher im Ergebnis sogar entlastet werden.

Eine so gestaltete Steuerreform bietet dem Verbraucher eine klare Orientierung: Höhere Steuern und Abgaben auf tierische Erzeugnisse würden Fleisch verteuern und die Nachfrage sinken lassen. Steuersenkungen könnten den Verbrauch pflanzlicher Produkte erschwinglicher machen. Die Kombination von Tierwohlabgabe und Umsatzsteuerreform würde den Ausstoß von Klimagasen aus der Landwirtschaft um rund 8,8 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr senken - das entspricht den Emissionen von etwa 3,5 Millionen Pkw. Dem Bund würde eine Tierwohlabgabe jährlich rund 4 Mrd. Euro zur Verfügung stellen. Damit könnten der Abbau des Tierbestands und tiergerechte Haltungsformen in landwirtschaftlichen Betrieben flächendeckend gefördert werden.

Die verschiedenen Tierschutzsiegel

Nicht erst seit den jüngsten Schlacht­hof-Skan­dalen ist Billigfleisch in Verruf geraten. Handels­konzerne, Fleisch­wirt­schaft und Branchen­initiativen versuchen durch immer neue Tier­wohl-Label verloren gegangenes Vertrauen wieder­zugewinnen. Zu den bisherigen Labeln „Haltungs­form“, „Initiative Tier­wohl“, „Tier­schutz­label“ und „Bio-Siegel“ könnte noch ein staatliches Tier­schutz­siegel hinzukommen, das sich noch in der Planungsphase befindet und noch nicht gesetzlich geregelt ist.

Haltungs­form: Das Siegel der Supermärkte

Stufe 1: Stallhaltung
90 Prozent des in Deutschland gekauften Frischfleisches kommt aus Stallhaltung. Die Stufe eins des einheitlichen Labels entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Hier stehen einem ausgewachsenen 100 Kilogramm schweren Schwein 0,75 Quadratmeter Platz zu.

Stufe 2: Stallhaltung Plus
Zwischen Stufe eins und Stufe zwei besteht nur ein kleiner Unterschied. Das bedeutet zehn Prozent mehr Platz für Schweine und zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial.

Stufe 3: Auslauf
In der dritten Stufe steht den Tieren mehr Auslauf und Zugang zu Außenbereichen und damit Frischluft zu. Schweine erhalten zusätzlich Stroh. Außerdem werden die Tiere ohne Gentechnik gefüttert.

Stufe 4: Premium
Um die Premium-Kennzeichnung zu erhalten, muss den Schweinen fast doppelt so viel Platz gegeben werden wie in Stufe 1. Futter muss zu einem Teil aus dem eigenen Betrieb oder der Region kommen.

Im April 2019 haben mehrere große deutsche Lebens­mittelketten mit Hilfe der Initiative Tierwohl mit der Haltungsfom ein einheitliches, vierstufiges Kenn­zeichnungs­system einge­führt: Aldi Nord und Süd, Edeka, Kauf­land, Lidl, Netto Marken-Discount, Penny sowie Rewe verwenden es für das Fleisch ihrer Eigenmarken und das von der Theke.
Die Händler haben dafür nicht neue Tier­wohl-Kriterien fest­gelegt, sondern ordnen bereits bestehende Tier­wohl-Stan­dards einer von vier Stufen zu. Das soll helfen, die Kriterien der bestehenden Siegel – die weiterhin auf der Packung zu finden sind – besser einschätzen zu können. Je höher die Stufe, desto teurer das Fleisch.

Ein Jahr nach der Einführung lautet das Fazit: Die Verbraucher achten weiterhin sehr auf den Preis. Rund 80 Prozent des Schweine­fleischs in den Supermärkten tragen die Stufe 1, also das nied­rigste Tier­wohl-Niveau. Die dieses Laber unterstützenden Handelsketten haben angekündigt, ab 2021 nur noch Schweine­fleisch anzu­bieten, das mindestens der Stufe 2 entspricht. Für eine merk­liche Verbesserung im Stall reicht das allerdings nicht aus.

Initiative Tier­wohl: Konzept von Wirt­schaft und Handel

Die Initiative Tierwohl ist ein Zusam­menschluss von Handel, Fleisch- und Land­wirt­schaft. Gegründet wurde sie 2015. Sie unterstützt Land­wirte finanziell, wenn diese Maßnahmen zum Wohl von Masttieren umsetzen, die über die gesetzlichen Stan­dards hinaus­gehen.

Laut der Initiative nehmen mitt­lerweile rund 6.660 geflügel- und schweinehaltende Betriebe in Deutsch­land teil. Es gibt bestimmte Grundan­forderungen, die jeder Tierhalter umsetzen muss – etwa indem er im Stall mindestens 10 Prozent mehr Platz schafft, Beschäftigungs­material wie Heu bereit­stellt oder an einem Über­wachungs­programm zum Antibiotika­einsatz teilnimmt. Betriebe, die Schweine halten, können zusätzliche Wahl­kriterien umsetzen – unter anderem können sie den Stall aktiv kühlen und den Schweinen Scheuer­möglich­keiten geben. 

Die Kriterien der Branchen­initiative liegen allerdings noch weit unter den Ansprüchen für Bio-Fleisch. Das Kenn­zeichnungs­system der Supermarkt­ketten sortiert Fleisch aus Betrieben der Initiative Tier­wohl in „Haltungs­form Stufe 2“ ein.

Tier­schutz­label: Orientierungs­hilfe des Tier­schutz­bundes 

Es gibt zwei Stufen von Tier­wohl: Ein Stern steht für Einstiegs­stufe, zwei Sterne stehen für Premi­umstufe. Das Tierschutzlabel gibt Verbrauchern seit Januar 2013 die Möglich­keit, Schweine- und Geflügel­fleisch aus tiergerechter Produktion zu erkennen. 2016 wurde das Programm auf Legehennen und 2017 auf Milchkühe erweitert, es sind also auch Eier und Milch mit dem Tier­schutz­label erhältlich. Träger ist der Deutsche Tierschutzbund. Beide Stufen gehen über die gesetzlichen Mindest­stan­dards hinaus.

Einstiegs­stufe:
Für Schweine sind unter anderem Ställe mit Komfortliege­bereichen gefordert, d.h. etwa 45 Prozent mehr Platz als das Gesetz vorschreibt und Beschäftigungs­möglich­keiten. Das Kupieren der Schwänze ist verboten.

Premi­umstufe: 
Bauern, die Fleisch dieser Stufe verkaufen wollen, müssen ihren Tieren Zugang zu Frisch­luft und Auslauf gewähren. Im Supermarkt entspricht das dann der „Haltungs­form Stufe 3“. 

Bio-Siegel: Sie garan­tieren hohes Tier­wohl

Das grüne Blatt des EU-Bio-Siegels steht seit 2012 auf allen Bio-Lebens­mitteln, die in der EU gehandelt werden – auch auf Fleisch und Wurst. In den EU-Vorschriften für den ökologischen Land­bau sind strenge Kriterien zum Thema Tier­schutz fest­gelegt. Sie umfassen die Herkunft der Tiere, die verwendeten Futtermittel, die Krank­heits­vorsorge und die tier­ärzt­liche Behand­lung sowie Vorschriften zur Reinigung der Ställe.

Artgerechte Tierhaltung ist das Leit­bild im ökologischen Landbau. Neben dem EU-Bio-Stan­dard gibt es noch die Kriterien der Bio-Anbau­verbände. Auch sie umfassen Tier­wohl­stan­dards, die in einigen Punkten noch strenger sein können als die der EU. Größte Verbände sind „Bioland“, „Naturland“ und „Demeter“.

Hinzugekommen ist inzwischen „Neuland“: Ein alternativer, zugleich konventioneller Weg. Neuland ist ein Verein, der 1988 gegründet wurde. Land­wirte, die ihre Tiere nach den Neuland-Richtlinien halten, produzieren kein bio-zertifiziertes Fleisch. Sie legen aber Wert auf eine besonders artgerechte Tierhaltung. Träger von Neuland sind der Deutsche Tier­schutz­bund, der Bund für Umwelt und Natur­schutz Deutsch­land (BUND) sowie die Arbeits­gemeinschaft bäuerliche Land­wirt­schaft. Nach dem Kenn­zeichnungs­system der Handels­ketten entspricht Neuland-Fleisch der „Haltungs­form Stufe 4“.

Fazit: 35 Euro pro Kopf im Jahr reichen für ein artgerechtes und umweltfreundliches Tierwohlkonzept. Experten der von der Bundesregierung eingesetzten Borchert-Kommission fordern, den notwendigen Umbau deutscher Ställe mit einer Tierwohlabgabe zu finanzieren. Pro Kilogramm Fleisch und Wurst sollten 40 Cent extra berechnet werden, pro Kilo Käse, Butter und Milchpulver 15 Cent, sowie pro Kilo Milch und Frischmilchprodukte 2 Cent. Legt man den Durchschnittskonsum der Bundesbürger zugrunde, würde die Tierwohlabgabe den Verbraucher pro Jahr rund 35 Euro kosten. 

Staatliches Tier­wohl­kenn­zeichen: Pläne der Bundesregierung

Seit 2017 gibt es Pläne für ein staatliches Tier­wohl­kenn­zeichen. Verbraucher sollen sich künftig bewusst dafür entscheiden können, zu den Waren zu greifen, die aus Ställen mit mehr Tier­wohl kommen und entscheiden, was ihnen das Tier­wohl auch im Preis wert ist.

Das staatliche Label soll zunächst auf Schweine­fleisch beschränkt sein und später auch auf Geflügel ausgeweitet werden. Die Teil­nahme am Label-Programm wird für die Produzenten freiwil­lig sein. Es soll drei „Stufen“ geben, die gleich­zeitig in Kraft treten sollen:

Die Kriterien der ersten Stufe sollen über dem gesetzlichen Mindest­stan­dard liegen. Mast­schweine hätten zum Beispiel 20 Prozent mehr Platz im Stall – unabhängig von der Gewichts­klasse. Zudem müssten die Buchten so strukturiert sein, dass die Tiere unterschiedliche Bereiche zum Ausruhen, Fressen und Bewegen haben.

In der zweiten Stufe soll das Platz­angebot mindestens 47 Prozent größer sein als gesetzlich vorgeschrieben. Ausnahmen, die beim gesetzlichen Mindest­stan­dard möglich sind – etwa mit Blick auf die Mindest­säugephase der Ferkel oder das Kupieren der Schwänze – wären nicht mehr möglich. Ferkel würden mindestens 28 Tage gesäugt, die Schwänze dürften nicht gekürzt werden.

In Stufe drei ist für Schweine durch­schnitt­lich 91 Prozent mehr Platz vorgesehen und für Tiere ab 30 Kilogramm auch Auslauf. Sauen würden ihre Ferkel mindestens 35 Tage säugen.

In allen drei Stufen müssten Tierhalter den Schweinen Raufutter und organisches Beschäftigungs­material zum Kauen, Wühlen und Fressen anbieten. Die betäubungs­lose Kastration der Ferkel soll in allen Stufen verboten sein. Weitere Kriterien regeln zudem, wie lange Tiere trans­portiert werden dürfen oder dass sich Tierhalter jähr­lich zu Tier­schutz­themen fort­bilden müssen.

Umwelt- und Tier­schutz­verbände bewerten die Kriterien des staatlichen Labels als zu niedrig und verlangen eine verpflichtende staatliche Haltungs­kenn­zeichnung. So forderte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Haltungs­kriterien insbesondere bei der ersten Stufe zu verschärfen.